Zeitzeugen

«Wir hoffen, dass wir nicht in diesen furchtbaren Strudel gezogen werden»

Die während den Mobilmachungen im Zweiten Weltkrieg in den Militärdienst beorderten Soldaten mussten meist für viele Wochen ihre Familien, Freunde und Bekannte verlassen. Diese wurden mittels Postkarten oder Briefen auf dem Laufenden gehalten – «Schriftliche Zeitzeugen», welche in kurzen, knappen Sätzen das Leben der Männer im Dienst beschreiben. So wie diese am 20. Mai 1940 verfassten Zeilen eines in der Festung Schollberg (Sarganserland) stationierten Soldaten. Zehn Tage zuvor hatten die Truppen Hitlers den «Westfeldzug» begonnen, den erfolgreichsten Feldzug, bei welchem die neutralen Länder Belgien, Luxemburg und die Niederlande besiegt und Frankreich besetzt wurde. «Die Schweiz, das kleine Stachelschwein, nehmen wir beim Rückzug ein», soll Hitler im Zusammenhang mit dieser Offensive gesagt haben. Das versetzte die Eidgenossenschaft in Panik, wie einem Bericht von General Henri Guisan zu entnehmen ist: «Eine Welle der Panik wogte durch das Land […]; falsche Gerüchte verbreiteten sich […]. Eine allgemeine Flucht in der Richtung nach der französischen Schweiz setzte ein. In der Nacht vom 14. auf den 15. Mai erreichte diese panische Aufgeregtheit ihren Höhepunkt. In diesem Augenblick standen wir auch, ohne dass das Land genau wusste warum, in einer eigentlichen militärischen Gefahr.» General Guisan und der Bundesrat waren sich einig, dass eine zweite Generalmobilmachung unumgänglich sei. So musste auch Soldat Hans, der Absender der Postkarte mit der «Heile-Welt-Schneelandschaft», in den Dienst einrücken. 

Im Dienst, 20. V 40
Lieber Albert, liebes Lisy!
Ein Lebenszeichen von mir aus dem Dienst. Wir sind in ständigem Alarmzustand bei strengem Dienst und wenig Schlaf! Fretzli hat nur geschrieben, dass Du bei ihr warst, was mich sehr freute und wofür ich Dir herzlich danke. Sie hat ein wenig Unterstützung in diesen aufregenden Tagen nötig, denn unsererseits selbst, weiss bald nicht mehr wohin seine Gedanken wenden. Wir wollen hoffen, dass für uns alles gut abläuft und wir nicht in diesen furchtbaren Strudel gezogen werden. Uns geht es soweit sonst gut, die Verpflegung ist recht, mit dem Ausgang und Urlaub ist es allerdings Essig.
Ich sende Euch meine herzlichsten Grüsse und hoffe auf ein baldiges, frohes & gesundes Wiedersehen. Euer Hans
Ter. Füs. Kp.II/159 Kdo. Zug.

Winteridylle: Die Postkarte zeigt die tief verschneite Landschaft im Gebiet Malanserholz (Gemeinde Wartau/SG) mit Blick gegen das Bündnerland. Doch der Schein trügt…

Dem Absender, einem gewissen Soldaten Hans, war es nämlich alles andere als idyllisch zumute, mussten doch er und seine Kameraden nahe an der Grenze zu Liechtenstein und Österreich jederzeit mit einer Invasion der Deutschen rechnen.

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